2022
248 Seiten
1 Farbkarte, 10 Farbfotos, 3 Farbgrafiken, 2 Farbabbildungen, 2 Faksimile-Reproduktionen, zahlreiche Tabellen und Übersichten, Anhänge: List of all persons interviewed and their positions, Career paths of the magistrates interviewed by generation
Textsprache(n): Englisch
Seit 2012 streiken die Richter*innen und Staatsanwält*innen (magistrats) in Benin immer wieder. Sie protestieren gegen Korruptionsvorwürfe, Strafversetzungen von Staatsanwälten, regelwidrige Ernennungen und die politische Einflussnahme auf die Judikative. Kurz: Sie fordern die Einhaltung ihrer eigentlich gesetzlich zugesicherten Unabhängigkeit. Wie kommt es dazu, dass magistrats in Benin erstmals in der gesamten Berufsgeschichte sogar in ihren Roben auf der Straße demonstrieren?
Ausgehend von dieser aktuellen Fragestellung wird in der vorliegenden Arbeit die Entstehung des Richterberufs von seinen Anfängen in der (französischen) Kolonialzeit bis in die Gegenwart analysiert. Es zeigt sich, dass die unterschiedlichen Erbschaften des Kolonialismus, Sozialismus und der Demokratie die beninische Justiz prägen und sich bis heute auf die Berufsausübung der magistrats auswirken.
Richter*innen befinden sich in einem double bind: Sie sind unabhängig und doch abhängig, weil sie zum beninischen Staat gehören und dieser über ihre Nominierung und Besoldung entscheidet. Die in der Literatur verbreitete Vorstellung einer korrupten Richterschaft wird aus emischen Perspektiven differenziert diskutiert: Was heißt es, in Benin Karriere als magistrat zu machen? Warum verfolgen einige eine schnelle, andere nur mühsam eine Karriere? Ihre Vorstellungen eines bon magistrat und das Idealbild der Profession scheitern immer wieder an den Anforderungen des Alltags und der Realität – die magistrats versuchen, diese Dilemmata zwischen ihrem hohen Berufsideal und der „Politik“, die mit allen Mitteln in die richterliche Unabhängigkeit einzugreifen versucht, zu meistern.
Die vorliegende Arbeit ist ein Beitrag zur Erforschung der größeren Fragestellung des Funktionierens von Staatlichkeit in Afrika und insbesondere in Benin. Vor dem Hintergrund, dass bis in die 2000er Jahre wenig empirisch fundierte Literatur über die beninische Justiz und ihre Akteur*innen existierte, ergänzt diese Pionierarbeit über magistrats in Benin die bereits erfolgten Arbeiten über frankophone und anglophone Staaten in Westafrika. Die Darstellung der Mikroperspektive der magistrats, ihrer Diskurse und Praktiken produziert neues Wissen und liefert ein dicht beobachtetes Porträt des Berufsstandes ab 1894 bis in die Gegenwart.